Nach und nach tauchen gezeichnete Frauengestalten auf der weißen Fläche der Plakatwand auf. Sie scheinen mal stumm, mal wütend, nachdenklich oder ungehalten, tragen Plakate oder Transparente. Die Plakate sind leer, ihre Forderungen oder Statements sucht man vergebens.
Die Vorlagen für die Zeichnungen sind historische oder aktuelle dokumentarische Aufnahmen aus den Medien und aus privaten wie öffentlichen Archiven. Sie zeigen demonstrierende Frauen aus verschiedenen zeitlichen und geografischen Kontexten. Sowohl die Kontexte als auch die Forderungen der Frauen bleiben bewusst verborgen. Durch diese Verweigerung der Einordbarkeit werden die leeren Transparente zu Projektionsflächen. Intuitiv füllt man die Transparente mit den eigenen Antrieben – doch könnten sie den eigenen Werten total gegenläufig sein. Der Moment des Widerstands tritt vor die einzelnen Forderungen.
Die Frauen in der Arbeit Ein Heer aus Wut und Wünschen stehen für eine grundsätzliche und andauernde globale Bestrebung, zu den eigenen Rechten zu kommen. Weltweit gehen Frauen auf die Straße und gehen dabei möglicherweise große Risiken ein, um ihre Meinung kundzutun – etwas, das man Frauen historisch und teilweise auch gegenwärtig nicht zuschreibt. Damit fragt die Arbeit von Katrin Ströbel nach dem Verbindenden zwischen den Frauen vor 80 Jahren in Berlin, vor fünf Jahren in den USA, gestern in Afghanistan und heute im Iran.
Die Philosophin Eva von Redecker sieht in weiblichen Protestbewegungen einen Kampf nicht für die eigenen Ziele, sondern für eine geteilte Welt. Durchdrungen seien diese Bewegung von feministischen Überzeugungen und der Vorstellung, Leben zu reproduzieren, statt nur Reichtum herzustellen. Das komme vor allem einer weiblichen Erlebniswelt nahe und mobilisiere potentiell alle Menschen.
In Marseille findet die Arbeit Ein Heer aus Wut und Wünschen auf den s.g. affichage libre statt – auch dies Orte klarer Botschaften. Die affichage libre sind Flächen, die von den Kommunen zur freien Meinungsäußerung oder Bewerbung gemeinnütziger Aktivitäten bereitgestellt werden. Die Plakate in Marseille sind gestreut und unterliegen einer anderen Temporalität und unterschiedlichen urbane Kontexten. Texte im öffentlichen Raum funktionieren – wie auch Demo-Banner – über klare und eindeutige Äußerungen. Dem entzieht sich die Arbeit. Ein Heer aus Wut und Wünschen. Die Handzeichnung agiert äquivalent dazu und hebt damit die scheinbaren Regeln des Agierens im öffentlichen Raum aus. Die leise Erscheinung der Arbeit steht konträr zu den Aufmerksamkeitsökonomien von Demonstrationen und lässt und umso stärker auf diese Frauen schauen. Mit jeder hinzukommenden Demonstrantin verschiebt und verändert sich der Interpretationsrahmen aufs Neue. Ein Heer aus Wut und Wünschen ist nicht stabil, sondern eine Arbeit, die sich mit der Zeit, mit den jeweiligen Orten und mit der Situation, der sie Betrachtenden permanent verändert und verwandelt.
Das Projekt wird von Clara Hofmann kuratiert und durch Förderung der Stadt Leipzig wie der Förderung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen unterstützt.
Katrin Ströbel (*1975) lebt in Marseille, Rabat und Stuttgart. Ihre Zeichnungen, ortsspezifischen Arbeiten und Installationen basieren auf einer kritischen Auseinandersetzung mit den sozialen und geopolitischen Bedingungen, die unseren gesellschaftlichen Alltag definieren. Ströbels Arbeit beschäftigt sich mit kulturellen Codes und (visuellen) Sprachen sowie mit Themen wie Kolonialismus, Migration und Vertreibung, und zeigt, wie sehr Geschlechter- und Geopolitiken miteinander verbunden sind. Seit 2004 hat die Künstlerin regelmäßig in Marokko, Nigeria, Senegal, Südafrika, Peru, Australien und den USA gearbeitet.
Katrin Ströbel hat bildende Kunst und Literatur studiert und in Kunstgeschichte promoviert. Seit 2013 lehrt sie als Professorin an der Villa Arson, École nationale supérieure d’art Nice, Frankreich.
//en:
One by one, drawn female figures appear on the white surface of the billboard. They seem sometimes silent, sometimes angry, thoughtful or displeased, carrying posters or banners. The posters are empty, one looks in vain for their demands or statements.
The templates for the drawings are historical or current documentary photographs from the media and from private and public archives. They show demonstrating women from different temporal and geographical contexts. Both the contexts and the women's demands remain intentionally hidden. Through this refusal of classifiability, the empty banners become projection surfaces. Intuitively, one fills the banners with one's own drives - but they could be totally contrary to one's own values. The moment of resistance steps in front of the individual demands.
The women in the work Ein Heer aus Wut und Wünschen (An Army of Rage and Desire) stand for a fundamental and ongoing global effort to come to one's own rights. All over the world, women are stepping out into the streets, potentially taking great risks, to make their opinions known - something that women have historically, and to some extent currently, not been attributed with. Thus, Katrin Ströbel's work asks what unites women 80 years ago in Berlin, five years ago in the U.S., yesterday in Afghanistan, and today in Iran.
The philosopher Eva von Redecker sees in female protest movements a struggle not for their own goals, but for a shared world. These movements are permeated by feminist convictions and the idea of reproducing life rather than merely producing wealth. This is especially close to a female world of experience and potentially mobilizes all people.
In Marseille, the work Ein Heer aus Wut und Wünschen takes place on the so-called affichage libre - these too are places of clear messages. The affichage libre are spaces provided by municipalities for the free expression of opinion or the advertising of charitable activities. The posters in Marseille are spread out and governed by a different temporality and different urban contexts. Texts in public space function - as do demo banners - via clear and unambiguous statements. The art work eludes this. The hand drawing acts equivalently to this and thus suspends the apparent rules of acting in public space. The quiet appearance of the work stands in contrast to the economies of attention of demonstrations and makes us look all the more strongly at these women. With each new demonstrator on the billboard, the frame of interpretation shifts and changes anew. Ein Heer aus Wut und Wünschen is not stable, but a work that permanently changes and transforms with time, with the respective locations, and with the situation of those viewing it.
The project is curated by Clara Hofmann and supported by funding from the City of Leipzig as well as the Cultural Foundation of the Free State of Saxony.
Katrin Ströbel (*1975) lives in Marseille, Rabat and Stuttgart. Her drawings, site-specific works and installations are based on a critical examination of the social and geopolitical conditions that define our everyday social life. Ströbel's work engages with cultural codes and (visual) languages, as well as issues such as colonialism, migration, and displacement, showing how gender and geopolitics are interconnected. Since 2004, the artist has worked regularly in Morocco, Nigeria, Senegal, South Africa, Peru, Australia, and the United States.
Katrin Ströbel studied fine arts and literature and holds a PhD in art history. Since 2013 she has been teaching as a professor at Villa Arson, École nationale supérieure d'art Nice, France.
Nach und nach tauchen gezeichnete Frauengestalten auf der weißen Fläche der Plakatwand auf. Sie scheinen mal stumm, mal wütend, nachdenklich oder ungehalten, tragen Plakate oder Transparente. Die Plakate sind leer, ihre Forderungen oder Statements sucht man vergebens.
Die Vorlagen für die Zeichnungen sind historische oder aktuelle dokumentarische Aufnahmen aus den Medien und aus privaten wie öffentlichen Archiven. Sie zeigen demonstrierende Frauen aus verschiedenen zeitlichen und geografischen Kontexten. Sowohl die Kontexte als auch die Forderungen der Frauen bleiben bewusst verborgen. Durch diese Verweigerung der Einordbarkeit werden die leeren Transparente zu Projektionsflächen. Intuitiv füllt man die Transparente mit den eigenen Antrieben – doch könnten sie den eigenen Werten total gegenläufig sein. Der Moment des Widerstands tritt vor die einzelnen Forderungen.
Die Frauen in der Arbeit Ein Heer aus Wut und Wünschen stehen für eine grundsätzliche und andauernde globale Bestrebung, zu den eigenen Rechten zu kommen. Weltweit gehen Frauen auf die Straße und gehen dabei möglicherweise große Risiken ein, um ihre Meinung kundzutun – etwas, das man Frauen historisch und teilweise auch gegenwärtig nicht zuschreibt. Damit fragt die Arbeit von Katrin Ströbel nach dem Verbindenden zwischen den Frauen vor 80 Jahren in Berlin, vor fünf Jahren in den USA, gestern in Afghanistan und heute im Iran.
Die Philosophin Eva von Redecker sieht in weiblichen Protestbewegungen einen Kampf nicht für die eigenen Ziele, sondern für eine geteilte Welt. Durchdrungen seien diese Bewegung von feministischen Überzeugungen und der Vorstellung, Leben zu reproduzieren, statt nur Reichtum herzustellen. Das komme vor allem einer weiblichen Erlebniswelt nahe und mobilisiere potentiell alle Menschen.
In Marseille findet die Arbeit Ein Heer aus Wut und Wünschen auf den s.g. affichage libre statt – auch dies Orte klarer Botschaften. Die affichage libre sind Flächen, die von den Kommunen zur freien Meinungsäußerung oder Bewerbung gemeinnütziger Aktivitäten bereitgestellt werden. Die Plakate in Marseille sind gestreut und unterliegen einer anderen Temporalität und unterschiedlichen urbane Kontexten. Texte im öffentlichen Raum funktionieren – wie auch Demo-Banner – über klare und eindeutige Äußerungen. Dem entzieht sich die Arbeit. Ein Heer aus Wut und Wünschen. Die Handzeichnung agiert äquivalent dazu und hebt damit die scheinbaren Regeln des Agierens im öffentlichen Raum aus. Die leise Erscheinung der Arbeit steht konträr zu den Aufmerksamkeitsökonomien von Demonstrationen und lässt und umso stärker auf diese Frauen schauen. Mit jeder hinzukommenden Demonstrantin verschiebt und verändert sich der Interpretationsrahmen aufs Neue. Ein Heer aus Wut und Wünschen ist nicht stabil, sondern eine Arbeit, die sich mit der Zeit, mit den jeweiligen Orten und mit der Situation, der sie Betrachtenden permanent verändert und verwandelt.
Das Projekt wird von Clara Hofmann kuratiert und durch Förderung der Stadt Leipzig wie der Förderung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen unterstützt.
Katrin Ströbel (*1975) lebt in Marseille, Rabat und Stuttgart. Ihre Zeichnungen, ortsspezifischen Arbeiten und Installationen basieren auf einer kritischen Auseinandersetzung mit den sozialen und geopolitischen Bedingungen, die unseren gesellschaftlichen Alltag definieren. Ströbels Arbeit beschäftigt sich mit kulturellen Codes und (visuellen) Sprachen sowie mit Themen wie Kolonialismus, Migration und Vertreibung, und zeigt, wie sehr Geschlechter- und Geopolitiken miteinander verbunden sind. Seit 2004 hat die Künstlerin regelmäßig in Marokko, Nigeria, Senegal, Südafrika, Peru, Australien und den USA gearbeitet.
Katrin Ströbel hat bildende Kunst und Literatur studiert und in Kunstgeschichte promoviert. Seit 2013 lehrt sie als Professorin an der Villa Arson, École nationale supérieure d’art Nice, Frankreich.
//en:
One by one, drawn female figures appear on the white surface of the billboard. They seem sometimes silent, sometimes angry, thoughtful or displeased, carrying posters or banners. The posters are empty, one looks in vain for their demands or statements.
The templates for the drawings are historical or current documentary photographs from the media and from private and public archives. They show demonstrating women from different temporal and geographical contexts. Both the contexts and the women's demands remain intentionally hidden. Through this refusal of classifiability, the empty banners become projection surfaces. Intuitively, one fills the banners with one's own drives - but they could be totally contrary to one's own values. The moment of resistance steps in front of the individual demands.
The women in the work Ein Heer aus Wut und Wünschen (An Army of Rage and Desire) stand for a fundamental and ongoing global effort to come to one's own rights. All over the world, women are stepping out into the streets, potentially taking great risks, to make their opinions known - something that women have historically, and to some extent currently, not been attributed with. Thus, Katrin Ströbel's work asks what unites women 80 years ago in Berlin, five years ago in the U.S., yesterday in Afghanistan, and today in Iran.
The philosopher Eva von Redecker sees in female protest movements a struggle not for their own goals, but for a shared world. These movements are permeated by feminist convictions and the idea of reproducing life rather than merely producing wealth. This is especially close to a female world of experience and potentially mobilizes all people.
In Marseille, the work Ein Heer aus Wut und Wünschen takes place on the so-called affichage libre - these too are places of clear messages. The affichage libre are spaces provided by municipalities for the free expression of opinion or the advertising of charitable activities. The posters in Marseille are spread out and governed by a different temporality and different urban contexts. Texts in public space function - as do demo banners - via clear and unambiguous statements. The art work eludes this. The hand drawing acts equivalently to this and thus suspends the apparent rules of acting in public space. The quiet appearance of the work stands in contrast to the economies of attention of demonstrations and makes us look all the more strongly at these women. With each new demonstrator on the billboard, the frame of interpretation shifts and changes anew. Ein Heer aus Wut und Wünschen is not stable, but a work that permanently changes and transforms with time, with the respective locations, and with the situation of those viewing it.
The project is curated by Clara Hofmann and supported by funding from the City of Leipzig as well as the Cultural Foundation of the Free State of Saxony.
Katrin Ströbel (*1975) lives in Marseille, Rabat and Stuttgart. Her drawings, site-specific works and installations are based on a critical examination of the social and geopolitical conditions that define our everyday social life. Ströbel's work engages with cultural codes and (visual) languages, as well as issues such as colonialism, migration, and displacement, showing how gender and geopolitics are interconnected. Since 2004, the artist has worked regularly in Morocco, Nigeria, Senegal, South Africa, Peru, Australia, and the United States.
Katrin Ströbel studied fine arts and literature and holds a PhD in art history. Since 2013 she has been teaching as a professor at Villa Arson, École nationale supérieure d'art Nice, France.