Still: Vika Kirchenbauer: The Capacity for Adequate Anger, 2021 / images by Alexander Mayer
Still: Ben Busch & Sadia Shamin:Amada Pathagar ( A Libary of Our Own), 2021 / image Alexander Mayer
QA June Drevet & Gregor Peschko with Ben Busch & Sadia Sharmin / image Alexander Mayer
QA June Drevet & Gregor Peschko with Ben Busch & Sadia Sharmin / image Alexander Mayer
Parallel zur aktuellen Ausstellung findet diesen Sommer eine Filmreihe im Garten vom IDEAL statt. Das Programm wird von June Drevet kuratiert.
Warum archivieren wir uns selbst, unsere Familien und Communities? Was verkörpern diese Archive, was machen sie mit uns? Und welche Bedeutung haben sie aus queerfeministischer und intersektionaler Perspektive? An zwei Filmabenden präsentiert der Kunstraum IDEAL filmische Arbeiten von Künstler*innen, die die Untersuchung der Potenziale sowie Grenzen von nicht- institutionellen Fotoarchiven eint.
Persönliche Fotografien vergangener Zeiten erzählen nicht immer von einem wehmütigen Verlust, sondern von Wissen, das geteilt wird, als Nachahmung, Reproduktion und Kreation. Jede Ansammlung von Dokumenten kann durch die filmische Auseinandersetzung dreidimensional werden, ein Ort, ein Haus. Die Filme schauen über die emotionale Bedeutung von genannten Archiven hinaus und fragen, wie solche Orte organisiert werden können, nicht zuletzt um anderen Zugang zu geben.
June Drevet studierte Film- und Medienwissenschaften und beschloss ihren MA in Critical Studies an der Akademie für bildende Künste Wien. Sie arbeitet als Kuratorin, Autorin und Redakteurin in freien, institutionellen und wissenschaftlichen Kontexten mit Schwerpunkt auf Fotografie und Bewegtbild. Sie lebt in Berlin.
Mit Filmen von Anna Spanlang, Benjamin Busch & Sadia Sharmin, Cana Bilir- Meier, Liz Johnson Artur, Sky Hopinka, Vika Kirchenbauer.
June Drevet wird eine Einführung geben, im Anschluss gibt es die Möglichkeit für Austausch und Gespräch.
Sky Hopinka: Lore, 2019, 10:16 Min
In Hollis Framptons Experimentalfilm Nostalgia von 1971 erzählt der Autor anekdotisch von seiner künstlerischen Entwicklung, während Fotografien nacheinander auf eine Heizplatte gelegt werden und verbrennen. Hopinka führt das Prinzip in seiner Erzählung fort: Seine Hände arrangieren zerschnittene Fotos von Landschaften auf einem Projektor und langsam werden Aufnahmen einer Musikband eingeblendet; Erzählungen von Träumen, Erinnerungen und Realität, Vergangenheit und Gegenwart sowie Indigener Mythen, Familiengeschichten und sich auflösender Beziehungen erklingen dazu aus dem Off. Lore erzählt von der Vergangenheit und ihren Zeitdokumenten und wie sie auf unterschiedliche Weise als Wissen überdauern und weitergegeben werden können.
Cana Bilir-Meier: This Makes Me Want to Predict The Past, 2017, 16:02 Min
Ihre Kamera folgt den zwei jungen Frauen Aleyna Osmanoğlu und Sosuna Yıldız an einem Nachmittag im Einkaufszentrum, während sie über ihre Träume und Hoffnungen, Ängste und Albträume sprechen. Dabei überlagern sich Fiktion und Realität immer wieder. Schwarz-Weißes Super-8-Filmmaterial und Fotografien einer Theaterprobe von 1982 geben Einblick in den Alltag von Migrant*innen damals und heute, und bezeugen die Kontinuität von rassistischer Gewalt in Deutschland. Der im Titel angelegte Widerspruch, die Vergangenheit vorhersagen zu wollen, ist zugleich eine spielerische Anregung, aus gewohnten Denkmustern, Strukturen und vermeintlich unausweichlichen Entwicklungen auszubrechen.
Anna Spanlang: CEREAL / Soy Claudia, soy Esther y soy Teresa. Soy Ingrid, soy Fabiola y soy Valeria, 2022, 35:00 Min
CEREAL ist als Miniserie in elf Episoden angelegt, die aus scheinbar endlosen Mengen von Smartphone-Aufnahmen zusammengesetzt sind. Der Inhalt dieses Materials – Grenzzäune, Popmusik, Tourist*innen bei der mexikanischen Sonnenpyramide, Küchengespräche mit Freund*innen, Protestaktionen im öffentlichen Raum und das Filmemachen – wirkt zunächst unbeschwert und spielerisch. Im Verlauf offenbart der Rhythmus dieses involvierenden Videotagebuchs einen zutiefst intelligenten, rigorosen Schnitt, der auf einen kritischen-sinnlichen Feminismus hinarbeitet. CEREAL ist eine künstlerische Erinnerungsarbeit, die mehr ist als nur die Summe ihrer Fragmente ist, und zeigt, wie individuelles Erleben unauflöslich an Gemeinschaft gebunden ist.
Im Anschluss an das Filmprogramm findet ein Gespräch mit den Filmemacher*innen Benjamin Busch und Sadia Sharmin statt.
Vika Kirchenbauer: The Capacity for Adequate Anger, 2021, 15:08 Min
Ist Distanz in Bezug auf das eigene Leben, die eigene Vergangenheit und die eigene gesellschaftliche Positionierung möglich? Wer kann sich überhaupt distanzieren und wessen Körper kommt das Privileg der Distanzierung wiederum nicht zu Teil? Eine Rückkehr in ihr Heimatdorf nach über zehnjähriger Abwesenheit bildet den Ausgangspunkt für Kirchenbauers Videoarbeit, in der sie Fotografien, die auf dieser Reise entstanden sind, mit Scans von Kinderzeichnungen, CD-Booklets, Familienfotos und Basketball-Sammelkarten sowie mit neu kadrierten Szenen einer Anime-Serie zu einem fiktiven und geschlechtuneindeutigen Porträt von Marie Antoinette collagiert. Aufstieg und Klasse, Entfremdung und Distanz sind zentrale Themen im selbstreflexiven Filmessay über ihre Biografie und künstlerische Praxis.
Liz Johnson Artur: Real...Times, 2018, 11:52 Min
Seit über 30 Jahren arbeitet Liz Johnson Artur am Black Balloon Archive (1991-heute), das Gesellschaften auch aus anderen Perspektiven sichtbar macht. Durch die kontinuierliche Ansammlung an Skizzenbüchern und Fotografien repräsentiert es auch ein fehlende institutionelle Bewahrung. Für dieses Video verschränkt Johnson Artur Fotografien mit Filmaufnahmen von Begegnungen mit Menschen und Communities in Südlondon, sowie von Beobachtungen einer Protestaktionen anlässlich des Windrush-Skandals 2018, im Zuge dessen aufgedeckt wurde, dass Tausende der seit Jahrzehnten in Großbritannien lebende Bürger*innen aus früheren britischen Kolonien aufgrund der konservativen Einwanderungspolitik als illegal eingewandert betrachtet wurden.
Benjamin Busch & Sadia Sharmin: Amader Pathagar (A Library of Our Own), 2021, 18:19 Min
Anhand von Interviews und Bildmaterial porträtiert der Film die Shaheed Rumi Memorial Library in der selbstorganisierten Siedlung Karail Basti in Dhaka, Bangladesh, und ihre Mitglieder. Als Bibliothek gegründet, die hegemoniale Systeme in Frage stellt, ist sie die Basis einer gemeinsam erarbeiteten Idee des Widerstand herangewachsen. Das Archivprojekt geht über das Lesen hinaus, konfrontiert autoritäre Perspektiven und definiert Informalität neu. Interviewaufnahmen werden mit kollektiven Zeichnungen und einem 3D-Scan des Ortes zu einer vielschichtigen Darstellung und filmischen Immersion. Der Film ist Teil des Habitat Forum Berlin Archivs, das einem internationalen Netzwerk von unabhängigen Institutionen angehört, die für mit- und selbstbestimmtes Wohnen und Leben kämpfen.
Grafische Gestaltung: Marcus Wachter
Bilder Alexander Mayer
Das Projekt wird gefördert von der Kulturstiftung des Freistaat Sachsens und der Stadt Leipzig. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.